Eine einsame Landstraße schlängelte sich durch die Hochebene von Prience. Einem roten Faden gleich, der das Leben darstellt, denn am Ende...war nichts.
Wüste Einöde, die sich in der schier endlosen Erhabenheit des Prience Forests verlor.
Ein Haus stand an dieser Straße, es war eigentlich schon ein etwas größeres Gut, mit Ställen, Feldern und Weiden fürs Tier.
Es war ein beschwerliches Leben.
Und es sollte noch schlimmer werden.
Diese dunkle, nasse Nacht sollte jedem in Prience in Erinnerung bleiben - für immer!

Die Kutsche rollte mit einer Irrsinnsgeschwindigkeit über die schlammige Straße, und zwei Mal sah es beinahe so aus, als würde die Kutsche aus einer Kurve getragen werden.
Blitze zuckten vom Himmel und erhellten die Nacht.
Der Kutscher, ein hochgewachsener Mann, fuhr in seinem Regenmantel zusammen und trieb die Pferde noch schneller an.
Donner grollte...

Der Bauer Torr Nickfut und seine Frau liefen im Haus auf und ab.
Von Unruhe erfüllt, sahen sie alle paar Sekunden besorgt aus dem Fenster.
"Wird sie kommen? Ich hoffe, sie schafft es rechtzeitig."
Seine Frau, Grania Nickfut beruhigte ihn:
"Es wird nicht mehr lange dauern...du wirst sehen. Auf sie war immer Verlaß."
"Hoffen wir es. Wenn unsere letzte Kuh auch noch stirbt, dann steht es schlecht um uns, noch schlechter als jetzt."

Draußen bog eine schwarze Kutsche auf das Landsgut ein.
Eine kleine Frau im hohen Alter stieg aus und eilte zum Haus.
Sie klopfte drei mal an die Tür, bis diese geöffnet wurde.
"Lili! Sie haben es geschafft! Gott sei's gedankt."
Lili war eine sehr angesehene Kräuterhexe aus dem Nachbardorf, welches eine halbe Tagesreise entfernt lag.
Lili trat ein und sagte mit besorgter Stimme:
"Wo ist der "Patient"? Wir haben nicht mehr viel Zeit."
Grania trat aus der Küche zu ihnen.
"Sie liegt im Stall auf trockenem Heu. Sie müssen ihr helfen. Sie ist so wichtig für uns, wir wissen nicht, was sie hat, ich kann ni...!
"Nun beruhige Dich erst mal, Grania Nickfut, und zeige mir den Weg zum Stall."
Torr meldete sich:"Ich werde mitkommen und die Lampe tragen."
"Moment, ich decke noch eben unseren Phillip zu."
Grania nahm eine Decke aus dem Schrank und ging damit zur Wiege, wo ihr 8 Monate altes Baby friedlich schlummerte.
Sie deckte Phillip zu und gab ihm einen Kuß auf die Stirn.
Dann schritt sie schnell hinter den anderen her, vergaß aber nicht, die Tür hinter sich zu schließen.

Die Kuh lag auf dem trockenen Boden, den Blick ins Nichts gerichtet.
Nach einer halben Stunde sah Lili auf die Uhr und dann zu Torr und Grania.
"Ich werde sehen was ich tun kann. Aber es gibt eine Bedingung: Niemand darf diesen Stall betreten bis ich hier fertig bin.
Ist das verständlich gewesen?"

Torr und Grania sahen sich an, stimmten dann aber zu. Die alte Hexe wird schon wissen was sie tut.
"In Ordnung, wir werden dann mal wieder rübergehen.
Vielen Dank daß Du Dich um sie kümmerst, wir werden eine warme Suppe kochen, damit Du Dich aufwärmen kannst, wenn Du zurück ins Haus kommst."
"Danke. Aber nun geht!"
Torr und Grania drehten sich um und gingen zurück ins Haus.
Seltsame Alte, dachten sie, aber sie hat nicht umsonst den guten Ruf einer Heilerin. Da wird sie auch mit einer Kuh fertig. Sie waren sehr zuversichtlich.
Draußen hielt der Regen an und überschwemmt inzwischen auch die Felder.
Nur gelegentliche Blitze erhellten das groteske Szenario.

Im Stall sah Lili noch ein mal auf ihre Uhr.
Nicht mehr lange...
Sie zündete ein weiteres Mal eine Kerze an; die letzte war schon heruntergebrannt.
Nach einigen Minuten flackerte die Kerzenflamme einmal merklich, und es schien, als würde es im Stall plötzlich dunkler werden. Ein Hauch Kälte umfing die Hexe.
Ohne sich umzudrehen fing sie an, zu jemanden zu reden:
"Ich wußte, daß Du kommen würdest. Ich hatte Dich erwartet, Du bist pünktlich...wie immer."
Sämtliche Schatten im Stall flossen zusammen, zu einer großen Gestalt, die in einen weiten Kapuzenumhang gehüllt war.

WENN MAN AUSSERHALB JEDWEDER ZEIT EXISTIERT, IST PÜNKTLICHKEIT KEIN PROBLEM!

Nun dreht sich Lili um.
Sie blickte in das leere Gesicht desjenigen, der letzten Endes alle überleben wird.
"Warum?", fragte sie, "warum diese Kuh? Es gibt so viele andere Tiere, in anderen Ländern. Tiere, die nicht so nützlich sind. Also warum hier und warum jetzt?"

ES IST NICHT MEINE AUFGABE DAS WANN UND WO ZU BESTIMMEN. ES IST MEINE AUFGABE ZUR RECHTEN ZEIT AM RECHTEN ORT ZU SEIN.

"Dies ist nicht der rechte Ort, und schon gar nicht die richtige Zeit! Ich habe Dich schon oft besiegt, ich kenne Dich!"

DU HAST MICH NOCH NIE BESIEGT. KEINER KANN DAS. DEN SCHNITTER KANN MAN NICHT BETRÜGEN. ES IST PASSIERT, WAS PASSIEREN SOLLTE. DOCH DIESES MAL IST ES ANDERS. ICH WERDE DIESE KUH NEHMEN.

"Würdest Du Dich anders entscheiden, wenn ich Dir stattdessen mich anbieten würde? Mich, die ich schon so oft Deine Pläne durchkreuzt habe?"

DU HANDELST MIT DEM TOD? MUTIGE ALTE. WENN ICH WOLLTE, KÖNNTE ICH ALLE HABEN, DEN GESAMTEN HOF!

"Aber das willst Du nicht, habe ich Recht? Du kannst es nämlich gar nicht.
Komm schon, was hast Du zu verlieren? Höchstens deinen größten Widersacher, mich!"

ICH KANN DEINER ARGUMENTATION FOLGEN. ICH WERDE DARÜBER NACHDENKEN.

"Die Kuh liegt im sterben. Tu einmal was Gutes und nimm mich!"

SO SEI ES!

"Dann war es das also?", fragte Lili, als sie sah, wie die Kuh sich aufrichtete und fröhlich muhte. Nicht die Spur einer Krankheit war an ihr zu erkennen.
"Eine Frage noch, bevor...Du mich mitnimmst."
Sie sprach nun mit leiser, ruhiger Stimme, die Stimme eines Menschen, der weiß, daß es zu Ende ist.
"Was geschieht danach? Ich meine...wie sieht es aus, dort wo Du mich hin bringst?"

DAS WIRST DU NOCH FRÜH GENUG ERFAHREN. LILI POTWHISTLE? DAS WAR DEIN LEBEN!

Mit diesen Worten holte der Reaper Man aus und trennte Lilis Seele vom Körper.
Draußen blitzte es noch einmal.
Donner grollte...

...und würfelte eine sechs!
Lili selbst, sich noch gar nicht bewußt, was geschehen ist, blickte auf ihren toten Körper.
"Seltsam, mit einem Male denke ich so viel klarer...ungefilterte Gedanken, nicht verunreinigt durch etwas so materielles wie ein Gehirn.
Es ist...wunderbar!"

Die Umgebung um sie herum verschwand langsam. Die Kuh, nicht mehr als eine geisterhafte Erscheinung. Der Stall, der Bauernhof, alles wurde langsam transparent, und etwas ungeheuer weites nahm den Platz ein. Eine endlose weite Leere.
"Eine Wüste?", fragte Lilis Geist. "Aber sie ist...grau, nein. Blau. Ich kann es nicht beschreiben, so etwas habe ich noch nie gesehen.
Was erwartet mich am Ende?"

DAS GERICHT.

"Das Gericht? Was für ein Gericht? Gibt es keine Hölle? Keinen Himmel?"

ES GIBT NUR MICH!

"A-aber...Du meinst, ich muß allein durch diese große weite Wüste gehen?
Niemand da, der mich begleitet?"

KENNST DU DAS SPRICHWORT, NACH DEM DIE HÖLLE AUS ANDEREN MENSCHEN BESTEHT?

"Ja, das kenne ich."

SCHON BALD WIRST DU FESTSTELLEN, DAß ES NICHT DER WAHRHEIT ENTSPRICHT!

Lili Potwhistle ging durch die Wüste, allein mit ihren Gedanken, die sich nur um eine Sache drehten: Hoffnung!
Es gibt immer Hoffnung. Wenn Du den Himmel willst, so wird er da sein.
Tod sah ihr hinterher und grinste. Es blieb ihm nichts anders übrig, aber diesmal grinste er wirklich.

Als Torr und Grania am nächsten Morgen nach dem Rechten schauten, da Lili anscheinend von sich aus nie wieder den Stall verlassen würde, da traf sie der Schock.
Lili lag auf dem Boden, mit einem selbstsicheren, zufriedenen Ausdruck auf dem Gesicht.
Die Kuh stand daneben und kaute wie nur eine Kuh kauen kann.
Draußen schien die Sonne, und die Pfützen begannen zu trocknen.
Bis heute konnte sich niemand erklären, was damals in dieser Nacht geschehen war, doch eins war den Nickfuts gewiß:
Seither schien das Schicksal es gut mit ihnen zu meinen.
Was die Beiden leider nicht wissen:
Schicksal mußte nur eine Runde aussetzen, da Hunger einen Pasch hatte.
Schicksal wendete sich also wieder dem Bauernhof zu, grinste, und warf die Würfel.
Es waren zwei Sechsen!
Schicksal streckte die Hand nach Prience aus...